Diktatur der Contentindustrie

Jeder kennt sicherlich dieses Szenario aus dem einen oder anderen Film: Ein mächtiger Konzern hat die Weltherrschaft an sich gerissen und kontrolliert die Bürger. Politiker werden durch die Konzernspitze eingesetzt und kontrolliert und sind nur noch Marionetten, um den Schein zu wahren. Die Bürger werden auf Schritt und Tritt überwacht und im Bedarfsfall ausgeschaltet, dazu setzt der Konzern seinen unternehmenseigenen „Wachschutz“ ein, gern in schwarzen Uniformen. Mitten drin dann unser Held. Oft eine spannende und fantasievolle Geschichte, irgendwann in ferner Zukunft angesiedelt.

Unsere Demokratievernichter sorgen derzeit dafür, dass die Realität diesen Zukunftskinofantasien einen Schritt näher kommt. Der Bundesrat hat sich gestern nämlich dafür ausgesprochen, der Musikindustrie (und Filmindustrie) eine „Enttarnung von Urheberrechtsverletzern“ zu erleichtern. Der Auskunftsanspruch gegen unbeteiligte Dritte (wie z.B. Internetprovider) soll nach dem Willen des Bundesrates in Zukunft für die Vertreter der Contentindustrie dahingehend vereinfacht werden, dass ein richterlicher Beschluss zur Herausgabe der Daten nicht notwendig sein soll. Um es vereinfacht zu erklären: Glaubt ein von der MI beauftragtes Unternehmen wie bspw. Logistep ausreichend Hinweise auf eine Urheberrechtsverletzung von einer bestimmten IP-Adresse aus gefunden zu haben, dann soll dieses Unternehmen in Zukunft direkt den Internetprovider auf die Herausgabe der Daten der zu dieser Adresse gehörenden Person ansprechen können. Der „mühsame Umweg“ über die Behörden sowie der Einsatz der für solche Fälle bislang vorgesehenen Rechtsmittel wäre also nicht mehr nötig.

Damit scheint die in der Vergangenheit angewandte Taktik der Contentindustrie nun Erfolg zu haben. Mit automatisierten Massenanfragen haben Unternehmen wie Logistep die Justizsysteme versucht lahm zu legen. Dem sollte nun begegnet werden, indem für jede Anfrage eine Bearbeitungsgebühr von 200 Euro erhoben wird und zudem ein Richtervorbehalt vorgesehen war. Die Mitglieder des Bundesrates haben sich jedoch gegen diese von der Regierung geplante Maßnahmen ausgesprochen und wollen im Gegenteil die Erlangung dieser Auskünfte immens erleichtern. Mit diesem Schritt würden nun private Unternehmen in gewissem Rahmen ähnliche Rechte wie der Polizei bzw. dem Justizapperat zugesprochen. Die Prüfpflicht der Provider soll entfallen, da ein Auskunftsanspruch nur bei einer „offensichtlichen“ Rechtsverletzung bestünde, wenn also ein Verstoß gegen das Urheberrecht „eindeutig“ und damit jeglicher „Zweifel in tatsächlicher, aber auch rechtlicher Hinsicht“ ausgeräumt sei. Exakt letzteres wird in einem Rechtsstaat durch Angehörige der Justiz entschieden, genau dafür gibt es den Justizapperat. Und auch dieser Schritt würde, sollte dieses Ansinnen so umgesetzt werden, in die Hände von Privatunternehmen gelegt werden.

Es ist im übrigen sicherlich nicht notwendig zu erwähnen, dass mit dieser Entscheidung des Bundesrates die Forderungen der Contentindustrie nahezu wortwörtlich übernommen wurden und umgesetzt werden sollen. Und damit schließt sich der Kreis zu meiner Einleitung: Ein Industriezweig fordert die Einschränkung der Rechte der Bürger, fordert mehr Rechte für sich und fordert die Möglichkeit der Umgehung rechtsstaatlicher Grundsätze für sich selbst. Und die Politiker machen sich an die Arbeit, diese Forderungen umzusetzen. Wie weit sind wir damit noch von meinem eingangs beschriebenen Szenario entfernt?

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