Angesichts der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan und der damit einhergehenden „nuklearen Folgen“ von Fukushima, Tokai und Onagawa hat Frau Merkel in ihrer Position als Bundeskanzlerin das Wochenende genutzt, um einmal in sich zu gehen und über die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke nachzudenken. Und überraschte uns alle gestern mit der Information: Die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke wird für 3 Monate ausgesetzt.
Wow!
Liest man sich die Informationen aus der Pressekonferenz einmal in Ruhe durch, entsteht sehr schnell ein erster Eindruck: Frau Merkel verkündet, mit aller Konsequenz und ohne Tabus in einer beispiellosen Aktion vorbehaltlos, rückhaltlos und umfassend einfach nur IRGEND ETWAS tun zu wollen. Lässt man den ganzen Text nun aber mal eine Weile in Ruhe sacken und liest ihn erneut, dann stellt man fest: Stimmt!
Frau Merkel verkündet nach einer Menge Worthülsen:
„Wir haben deshalb am Samstag veranlasst, dass im Lichte der Erkenntnisse, die wir aus Japan haben, alle deutschen Kernkraftwerke einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogen werden. Ich sage ganz deutlich: Es gibt bei dieser Sicherheitsprüfung keine Tabus. Genau aus diesem Grunde werden wir die erst kürzlich beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke aussetzen. Dies ist ein Moratorium. Dieses Moratorium gilt für drei Monate. Darüber, was das für die einzelnen Kernkraftwerke bedeutet, sind wir mit den Betreibern im Gespräch.“
Die Kernaussage dieses Absatzes lautet nach meinem Verständnis: für 3 Monate ist das Gesetz zur Laufzeitverlängerung erst einmal nicht gültig, in der Zwischenzeit produzieren wir mal eine Menge Papier.
Kurz vor diesem Abschnitt sagte Frau Merkel noch:
„Richtig bleibt auch: Wir wissen, wie sicher unsere Kraftwerke in Deutschland sind.“
und wenige Sätze später noch einmal:
„Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die bisherige unbestrittene Sicherheit unserer kerntechnischen Anlagen zum Maßstab auch des künftigen Handelns machen, ohne dass wir infolge der jüngsten Ereignisse einmal innehalten.“
Warum also müssen wir eine „Sicherheitsüberprüfung ohne Tabus“ durchführen, wenn die Sicherheit unserer Atomkraftwerke unbestritten sein soll und wir ja eigentlich bereits wissen, wie sicher sie sind? Wenn unsere Atomkraftwerke so sicher sind, dass bedenkenlos Sicherheitsstandards gesenkt werden können?
Ganz offensichtlich wird hier lediglich Aktivität simuliert.
Dass auch die nicht enden wollenden Hiobsbotschaften aus Japan noch lange kein Grund zum Umdenken sind, sagt Merkel nämlich ebenfalls:
„Ein Abschalten deutscher Kernkraftwerke unter Inkaufnahme der Verwendung von Kernenergie aus anderen Ländern aber ‑ das sage ich ebenso unmissverständlich ‑ kann und darf nicht unsere Antwort sein.“
Eine Aussage, die an Deutlichkeit kaum zu übertreffen ist: Wir KÖNNEN unsere Atomkraftwerke gar nicht abschalten, weil wir sonst Atomenergie aus anderen Ländern importieren müssten und dort keinerlei Kontrolle haben. Also hörst endlich auf zu nerven Kinder! NorGer? Ist das nicht dieses Schokoladeneis am Stiel?
Was bedeutet nun aber eigentlich dieses Moratorium für Deutschland und die deutschen Atomkraftwerke genau?
Mal sehen…
Ja, das sind die Worte von Frau Merkel, auch wenn sie es nicht in dieser Deutlichkeit ausspricht.
Konkret sagt sie auf die Frage, ob dieses Moratorium nun bedeutet, dass die Atomkraftwerke, deren Reststrommenge bereits aufgebraucht ist, nun sofort abgeschaltet werden würden:
„Das wäre die Konsequenz, denn sonst wäre es kein Moratorium des von uns neu beschlossenen Gesetzes.“
Wäre? Oder IST die Konsequenz? „Wäre ich nicht auf den Baum geklettert, dann wäre ich auch nicht herunter gefallen.“ Na, etwas bemerkt?
Das „Mal sehen…“ wird deutlicher in der Antwort auf die Zusatzfrage, ab wann mit einer Abschaltung der erwähnten Kraftwerke zu rechnen sei:
„Ich würde sagen: Wenn wir mit den Kernkraftwerksbetreibern gesprochen haben.“
Aha! Frau Bundeskanzlerin KANN gar keine Entscheidungen diesbezüglich treffen, erst einmal müssen die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke gefragt werden, ob ihnen das so auch Recht ist. Denn genau genommen weiß niemand so genau, was man tun könnte, wie Frau Merkel auf eine andere Frage antwortet:
„Wenn wir jetzt genau wüssten, was wir tun müssten, hätten wir ja nicht ein Moratorium von drei Monaten beschlossen, sondern dann hätten wir Ihnen heute bereits abschließend gesagt, was wir tun.“
Das Moratorium bedeutet also nichts anderes als: Niemand weiß, was zu tun ist. Aber wir müssen irgendetwas tun und sagen, denn bald sind Wahlen. Das Moratorium wird nichts beschleunigen oder unmittelbar ändern, es klingt nur besser.
Genau genommen hätten diese Sicherheitsanalysen auch ohne Moratorium durchgeführt werden können. Ein Gesetz zur Laufzeitverlängerung schließt nicht aus, dass dennoch Sicherheitsstandards überprüft werden. Genau das ist aber die einzige Maßnahme, die wirklich zugesichert wird. Neben Gesprächen, die die Möglichkeiten auslooten sollen…
Das Moratorium ist also ein Beruhigungsdrops für all jene, die nun wieder verstärkt den Ausstieg aus der Atomenergie fordern. Es soll sagen: „Schaut doch her, wir haben doch schon mal etwas getan, wir setzen die Laufzeitverlängerung vorübergehend aus…“ Welche Konsequenzen das aber haben kann und soll kann niemand sagen. In 3 Monaten ist die Laufzeitverlängerung wieder in Kraft, aber dann interessiert es vielleicht nicht mehr so viele? Dann sind die Katastrophen in Japan schon wieder lange vorbei und die Wahlen sind auch überstanden… Es wird auf Zeit gespielt und in 3 Monaten ist bestimmt alles vergessen.
Den Beruhigungsdrops verabreicht Frau Merkel mit einigen mahnenden Worten:
„Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir abschließend noch ein persönliches Wort: So wichtig und unerlässlich alle Bewertungen und Maßnahmen sind, die wir in Deutschland und darüber hinaus beraten, so wichtig und unerlässlich ist es, dass wir in dieser Stunde gleichzeitig nicht den Blick für die verlieren, die in Japan nicht wissen, wie sie den Tag überstehen sollen, wie sie genügend zu essen und zu trinken bekommen sollen, wie sie vermisste Angehörige finden sollen, wie sie ein neues Zuhause für sich und ihre Familien finden sollen und wie sie den Verlust ihrer Lieben verwinden sollen. Das Leid dieser so furchtbar geprüften Menschen in Japan muss weiter im Mittelpunkt all unseres Denkens, unseres Mitfühlens und unseres Helfens stehen.“
Mit ein paar Worten weniger: Es gibt doch wirklich wichtigeres als diese Diskussion!
(Während ich mir im Laufe einiger Stunden kopfschüttelnd möglichst freundliche Formulierungen aus den Fingern gesaugt habe, ging der folgende Link bei Twitter rauf und runter: Merkel zu Fukushima. Martin Haase hat hier ebenfalls die Presseinformation von Frau Merkel zerpflückt, die Analyse möchte ich Euch auf gar keinen Fall vorenthalten.)
Nachtrag: Na hoppala, was ist denn da passiert? Jetzt wird es ja doch etwas konkreter. 7 Atomkraftwerke, die nicht mehr den aktuellen Sicherheitsstandards entsprechen, sollen während des Moratoriums abgeschaltet werden. Allerdings ist auch hier wieder eine wichtige Aussage mitten im Text verborgen: „Wie lange die AKW abgeschaltet bleiben, blieb offen.“ Ach ja, vorübergehend ablegen…
(Hinweis: Die neuesten Informationen auch zum Geschehen im AKW Fukuchima Daiichi werden jeweils unten angefügt. Inzwischen ist der Vulkan Shinmoedake Kirishima wahrscheinlich aufgrund der Nachbeben wieder aktiv. Insgesamt gibt es nun in 3 Atomkraftwerken Probleme mit ausgefallenen Kühlsystemen: Fukuchima, Tokai und Onagawa.
Achtung: Sollte dieser Artikel irgendwelche Einnahmen via Flattr generieren, dann werde ich den kompletten Betrag zuzüglich einer Einlage aus meiner Tasche für die Opfer spenden, dieses Geld möchte ich nicht behalten.)
Gegen 14:45Uhr Ortszeit (6:45Uhr unserer Zeit) erschütterte ein Erdbeben der Stärke 8.9M Japan (Nachtrag: die Stärke des Erdbebens wurde nachträglich auf 9.0M korrigiert). Das Epizentrum befand sich vor der nordöstlichen Küste in ca. 50km Tiefe und löste in der Folge einen Tsunami aus, der den Osten Japans überflutete. Die Flutwelle war bis zu 10 Meter hoch.
Auf Youtube findet sich ein Video mit Luftaufnahmen der Flutwelle, die über das Land raste. Link
Zur Erinnerung: Das schwere Beben in Haiti im vergangenen Jahr hatte eine Stärke von „lediglich“ 7.0M. Man kalkuliert, dass ein Punkt mehr ca. der 30fachen Energiemenge entspricht, beim heutigen Beben in Japan wurde also ca. die 900fache Energiemenge frei gesetzt wie bei dem verheerenden Beben in Haiti.
Der Tsunami breitet sich aktuell auf dem Pazifik aus und wird im Laufe des Tages auf die amerikanische Westküste treffen. Hawaii rechnet mit einer Überflutung der flachen Gebiete und beginnt bereits mit der Evakuierung dieser Zonen. Diese Grafik zeigt recht anschaulich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle.
Ich werde versuchen, im Laufe des Tages Informationen und Links nachzureichen und diesen Artikel möglichst aktuell zu halten. Es gibt diverse Live-Streams online, die ich an dieser Stelle mal verlinke.
Auf Spiegel-Online gibt es einen Live-Ticker der permanent aktualisiert wird. Dort ist von bislang 19 bekannten Toten die Rede, darüber hinaus wird gemeldet, dass temporär das Kühlsystem eines Atomkraftwerkes ausgefallen war. Inzwischen wurde atomarer Notstand ausgerufen, da im Atomkraftwerk Onagawa ein Feuer ausgebrochen ist. 4 Atomkraftwerke wurden aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Radioaktivität ist allerdings offenbar nicht ausgetreten. (Link)
Update 2:
Ein weiterer LiveStream. Die Tsunami-Warnung wurde inzwischen für den kompletten Pazifikraum ausgegeben.
In mindestens 20 Ländern gibt es Tsunami-Warnungen. Betroffen sind unter anderem Russland, Indonesien, Guatemala, El Salvador und Costa Rica. Auf den Philippinen wurden bereits die Küstenregionen evakuiert.
Update 6:
Das ist etwas vollkommen neues: Tsunami-Warnungen befinden sich inzwischen direkt auf der Google Startseite (Suchsprache umstellen auf English).
Update 7:
Aljazeera spricht inzwischen von bis zu 26 Toten. Ich befürchte, dabei wird es wohl leider nicht bleiben.
Update 8:
Auf Youtube befinden sich inzwischen zahlreiche Videos von Augenzeugen des Bebens.
Taiwan hat inzwischen komplette Entwarnung gegeben. Die Auswirkungen des Tsunamis dort waren sehr gering, es gab nur kleine Wellen und keine Schäden. Ob dies auch für Hawaii gelten wird ist noch unklar, die Ankunft der Flutwelle dort wird kurz nach 14Uhr unserer Zeit erwartet. Die Tsunami-Warnungen für die amerikanische Westküste bleiben bestehen.
Das japanische Amt für Atomsicherheit kann inzwischen nicht mehr ausschließen, dass aus dem beschädigten Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi Strahlung austreten könnte. Der Kühlwasserstand im Reaktor sinkt ständig, die Umgebung wurde evakuiert. Greenpeace nennt weitere Details. Anwohner im Umkreis von 2km um den Reaktor wurden aufgerufen, Schutzräume aufzusuchen. (Link, Link)
Update 15:
Die Zahl der Toten steigt rasant. Allein in Sendai wurden zwischen 200 und 300 Tote gefunden. Inzwischen hat die Tsunami-Welle Hawaii erreicht, über etwaige Schäden ist aktuell noch nichts bekannt. (Link, Link) Bislang wurde lediglich eine erste Welle mit einer Höhe von ca. 30cm auf Hawaii gemessen, es werden allerdings mehrere Wellen mit bis zu 2m (6-8 feet) Höhe erwartet. CNN streamt live von Hawaii. Der Guardian berichtet von einer ca. 1m hohen Welle.
Update 16:
Inzwischen gab es (bislang) 70 Nachbeben, die teilweise eine Stärke von über 6M aufwiesen, die meisten Beben erreichten über 5M. Quelle
Der Tsunami hat im Pazifikraum keine weiteren Schäden angerichtet, die höchste gemessene Welle war 1,5m hoch. Das Atomkraftwerk Fokushima Daiichi entwickelt sich allerdings offenbar zu einem weiteren Problem für Japan. Das Kühlsystem ist ausgefallen und man befürchtet eine Kernschmelze, der nun mit Notmaßnahmen vorgebeugt werden soll. In weiten Teilen Japans ist der Strom ausgefallen, mehr als 8 Millionen Haushalte mussten die Nacht ohne Strom verbringen.
Update 20:
Die Tsunami-Welle hat gegen 21:45 die Küste Kaliforniens erreicht und dort nur geringe Schäden angerichtet. Vorwiegend Boote und Anlegestellen gingen zu Bruch, die Höhe der Welle betrug ca. 2m. Darüber hinaus veränderte laut Nasa das Beben die Erdachse derart, dass sich der Tag um 1,6 Mikrosekunden verkürzt hat, die Erde rotiert also etwas schneller.
Laut Meldungen auf Twitter (gg. 2Uhr unserer Zeit noch unbestätigt) wird damit begonnen, den Druck aus Reaktor 1 in Fokushima kontrolliert und gefiltert abzulassen.
Update 23:
Kurz vor 9 Uhr unserer Zeit gab es eine Explosion im Atomkraftwerk Fokushima. Teile des Problemreaktors sollen weggebrochen sein, 4 Menschen wurden verletzt. Ein Video zeigt die Explosion am Reaktor. Die Strahlungswerte in der Umgebung des Kraftwerks sollen stark erhöht sein, bereits vor der Explosion ist Cäsium ausgetreten, ein Abfallprodukt, welches bei der Kernspaltung entsteht und stark radioaktiv ist. Im Umkreis von 3km um den Reaktor wurde komplett evakuiert, derzeit läuft die Evakuierung des 10km-Radius. Es wird befürchtet, dass die Kernschmelze aktuell stattfindet.
•There are growing fears about damage to two nuclear power stations following Friday’s 8.9 magnitute earthquake. There has been an explosion at a building at one of the plants, Fukushima No 1 in Futuba, 150 miles (240km) north of Tokyo. Japanese authorities have extended the evacuation area at the Fukushima No 2 plant to 10km, the same distance as for Fukushima No 1 plant.
•The death toll from the disaster is expected to exceed 1,300, with most deaths due to drowning. The official death toll currently stands at 413, with 784 people missing and 1,128 injured. Police said between 200 and 300 bodies were found along the coast in Sendai, the biggest city in the area near the quake’s epicentre.
•Police estimate that more than 215,000 people are taking refuge in emergency shelters in the east and north of the country. Many survivors have been trapped overnight on rooftops, surrounded by a sea of mud and water. Around 50,000 rescuers have deployed to the region.
•Tsunami warnings for most of Japan have been lowered, although there is still a risk of large waves along the north-eastern coast.
•The tsunami rolled across the Pacific at jet speed but had weakened before it hit Hawaii and the West Coast of the US. Initial reports suggest limited tsunami damage to Pacific island nations.
Der Versuch, den Druck in Reaktor 1 in Fokushima kontrolliert abzubauen scheiterte offensichtlich an Strommangel, es gelang nicht, die Ventile zu öffnen. Die Evakuierungszone rund um den Reaktor soll inzwischen auf 20km erweitert worden sein. Die Explosion fand wahrscheinlich nicht im Reaktor selbst statt, die Mauern sowie das Dach des umgebenden Gebäudes sind allerdings komplett weg. (Die korrekte Schreibweise des Ortes ist mir übrigens noch unklar, man liest sowohl Fokushima als auch Fukushima.)
Update 27:
Laut noch unbestätigten Meldungen ist davon auszugehen, dass die Kernschmelze inzwischen begonnen hat. In diversen Tickern ist seit ca. 11:40Uhr davon die Rede, offizielle Informationen sind noch nicht zu finden. Hier eine Ansicht des Kraftwerks in Google Maps, beim obersten Block handelt es sich um Reaktor 1. Hier zudem noch ein Link zum LiveStream eines japanischen Fernsehsenders.
Kernschmelze nun offenbar offiziell bestätigt, sie wird als Ursache für die Explosion heute Morgen genannt. Es werden auch extrem erhöhte Strahlungswerte in der unmittelbaren Umgebung bestätigt. Die Reaktoranlage in Fukushima befindet sich übrigens in ca. 250km Entfernung von Tokyo. Ein Anstieg der Radioaktivität soll selbst in Bayern bereits messbar sein, ob hier ein unmittelbarer Zusammenhang besteht ist noch nicht klar (und erscheint mir angesichts der Entfernung nach dieser doch relativ kurzen Zeit etwas unwahrscheinlich, wenn auch nicht vollkommen unmöglich). Der Fund radioaktiver Substanzen außerhalb des Reaktors wurde bestätigt.
Radioaktivität in Bayern steht nicht im Zusammenhang mit dem Vorfall in Japan. Dazu Dr. Volker Jaenisch: “Es ist absolut ausgeschlossen, dass diese beiden Vorfälle etwas mit einnder zu tun haben. Die Ausbreitung der Radioaktivität um den Globus wird Wochen dauern. Kann jeder selbst nachrechnen wenn er eine Windgeschwindigkeit von z.B. 100 kn/h und die Entfernung Japan nach sonstwohin ansetzt.
Radioaktive Partikel sind auch nur Partikel und Partikel werden nach eine bis zwei Wochen durch natürliche Prozesse aus der Atmosphäre entfernt (Regen oder sonstiger Niederschlag). Die Wahrscheinlichkeit dass Radioaktivität durch die Luft zu uns gelangt ist daher sehr sehr gering.
Das Problem werden die Folgen sein, die der Fallout mit sich bringt. Ich würde in nächste Zeit keine Schrimps, keine Eisbären oder Wale essen.”
Update 31:
Die Zahl der Toten aufgrund der Erdbebenkatastrophe wird derzeit mit rund 1700 angegeben.
Update 32:
Eine Katastrophe in dem Ausmaß, wie sie in Tschernobyl stattgefunden hat, soll bei dem in Fukushima Daiichi verwendeten Reaktortyp unwahrscheinlich sein. Die Katastrophe in Tschernobyl wurde unter anderem aufgrund einer Besonderheit in der Konstruktion des Reaktors verschärft. Die Steuerelemente des Reaktors wiesen am unteren Ende Graphitspitzen auf, die die Leistung des Reaktors beim Einfahren zunächst steigern, bevor er herunter geregelt wird. Da der Zustand des Reaktors bereits sehr kritisch war, führte der Versuch des viel zu späten Abschaltens durch einfahren der Steuerstäbe zunächst zu einer massiven Leistungssteigerung binnen weniger Sekunden, was die eigentliche Katastrophe auslöste.
Bei dem Reaktor in Fukushima schmelzen bei der Kernschmelze die Brennstäbe bei einer Temperatur von 2700-2800 Grad, die geschmolzene Masse brennt sich schlimmstenfalls nach unten durch und wird in unterirdischen Behältern unterhalb des Reaktors aufgefangen. Somit wäre zumindest theoretisch ein Unfall wie in Tschernobyl wenig wahrscheinlich. Es bleibt zu hoffen, dass die kommenden Stunden diese Theorien bestätigen. Wünschenswert ist jedoch, dass der Reaktorbehälter selbst dicht bleibt.
Update 33:
Nachdem die Kernschmelze bereits bestätigt und als Ursache für eine Wasserstoffexplosion am Reaktor 1 angegeben wurde, wird nun dementiert. Die Kernschmelze habe noch nicht eingesetzt, die Explosion sei lediglich eine Verpuffung von Gasen zwischen Reaktor und Reaktorgebäude gewesen. Die Meldungen sind also sehr widersprüchlich, zumal andere Quellen klar von einer Wasserstoffexplosion sprechen, als Folge des Beginns der Kernschmelze. Dabei sei auch Wasser aus einem der Kühlkreisläufe ausgetreten, was die stark erhöhte Radioaktivität erklären würde (aber keine Erklärung für das Auffinden von radioaktivem Cäsium außerhalb des Reaktors liefert). Es wird aktuell versucht, den Reaktor mit Meerwasser zu kühlen.
Update 34:
Die Zahl der Opfer des Erdbebens und anschließenden Tsunamis ist nach wie vor vollkommen unklar. Die Berichte schwanken zwischen 1.400 und 1.700 bestätigten Toten, darüber hinaus werden allein in der kleinen Stadt Minamisanriku (Miyagi) ca. 10.000 Menschen vermisst. Die Stadt hatte vor der Katastrophe 19.700 Einwohner. Nahezu die komplette Stadt wurde von der Flutwelle zerstört, nur die größten Gebäude stehen noch.
Update 35:
Sehr anschauliche und aktuelle grafische Darstellung aller Nachbeben in Japan. Das letzte hatte eine Stärke von 6.4M und hatte sein Epizentrum in gerade mal 80km Entfernung von Fukushima.
Update 36:
Sehr gute und verständliche Erklärung zum Thema Kernschmelze und ein direkter Vergleich zwischen Tschernobyl und Fukushima beim Physikblog. Weiterführende Links und Quellen sammelt darüber hinaus das Scienceblog (wenn man hier auch der Meinung ist, die aktuell verständlicherweise wieder hoch kochende Diskussion um AKWs in Deutschland aufgrund der Vorfälle wäre fehl am Platz – die Meinung kann ich prinzipiell nicht teilen).
* The value of radioactive material (iodine, etc) is increasing according to the monitoring car at the site (outside of the site). One of the monitoring posts is also indicating higher than normal level.
* Since the amount of radiation at the boundary of the site exceeds the limits, we decide at 4:17PM and we have reported and/or noticed the government agencies concerned to apply the clause 1 of the Article 15 of the Radiation Disaster Measure at 5PM.
* In addition, a vertical earthquake hit the site and big explosion has happened near the Unit 1 and smoke breaks out around 3:36PM. Our two employees and two cooperation workers who had been working for the foundation of safety are suffered and they are all sent to the hospital.
Update 38:
Inzwischen ist bei einem weiteren Reaktor in Fukushima das Kühlsystem ausgefallen, nach Reaktor 1 ist nun auch Reaktor 3 betroffen, damit sind es nun 6 Reaktoren. Ob in Reaktor 1 bereits eine Kernschmelze stattfindet, ist nach wie vor offen. Die Stadt Rikuzentakata wurde durch den Tsunami nahezu ausgelöscht, auch hier stehen nur noch wenige Häuser. Über Opfer ist aktuell noch nichts bekannt.
An dieser Stelle möchte ich auch mal auf Datenschreck hinweisen, sein Tweet liefert immer wieder ergänzende Informationen und Details aus Japan.
Update 39: (Sonntag, 13.3.2011):
Für Reaktor 3 in Fukushima wird inzwischen ebenfalls von einer bereits laufenden Kernschmelze ausgegangen. Weit über 200.000 Menschen wurden aus dem Gebiet evakuiert. Bei ABC News sind Satellitenaufnahmen der Katastrophengebiete zu finden, die einen direkten Vergleich vor und nach der Katastrophe zeigen. Auch Google Maps hat verschiedene Overlays mit aktuellen Satellitenaufnahmen aus Japan.
Angeblich ist es gelungen, frisches Kühlwasser in Reaktor 1 einzuspeisen und den Druck innerhalb des Reaktors zu verringern. Allerdings ist radioaktives Material aus Reaktor 3 entwichen, es ist von „sehr geringen Mengen“ die Rede, man rechnet nun auch bei Reaktor 3 mit einer Kernschmelze. In der Zwischenzeit wurden sämtliche Tsunami-Warnungen aufgehoben, die Stärke des Erdbebens vom 11.3.2001 wurde auf 9.0 korrigiert, als Folge hat sich die Position Japans um 2,4Meter verschoben.
Update 41:
Aktuelle Fotos und Videos aus Japan (wieder via Datenschreck, nach wie vor eine empfehlenswerte Quelle. Er berichtet auch davon, dass wahrscheinlich aufgrund eines der Nachbeben im Süden Japans ein Vulkan ausgebrochen ist). Aktuell kann im LiveStream die offizielle Pressekonferenz verfolgt werden.
Die Stromversorgung wird in Japan rationiert, um die Versorgung wichtiger Bereiche sicherstellen zu können. In der Folge wird es täglich mehrstündige Stromausfälle geben, insgesamt werden derzeit durch die Abschaltung von Kraftwerken aufgrund der Beben und des Tsunamis 10.000.000MWh weniger Strom produziert als gewöhnlich.
Im AKW Fukushima hat sich gegen 3 Uhr unserer Zeit eine neue Explosion ereignet, offenbar beim Reaktor 3. Wie schon zuvor am Reaktor 1 soll das Gebäude rund um den Reaktor beschädigt, der Reaktor selbst aber intakt sein. (Video) Inzwischen dreht sich auch der Wind, so dass radioaktives Material nicht mehr in Richtung Meer, sondern nach Tokyo geweht werden würde. Auch in Reaktor 2 ist nun das Kühlsystem ausgefallen. Zuvor gab es ein erneutes Beben mit der Stärke 6.2M, welches für eine neue Tsunami-Warnung sorgte.
Update 49:
Weitere Videos vom Tsunami am 11.3., die eine grobe Vorstellung davon geben, welches Ausmaß die Katatstrophe hat und welche Kräfte am Werk waren.
Recht anschauliche Infografik der New York Times zum Aufbau der Reaktoren in Fukushima und zu den Vorgängen im Inneren. Die Darstellung ist natürlich vereinfacht, lässt aber gut erkennen, was innerhalb des Reaktors geschieht.
Update 52 (14.3. ca. 16:30Uhr):
Die Ventile am Reaktor 2 lassen sich nicht öffnen, der Druck im Reaktor lässt sich somit nicht verringern. Gleichzeitig gelingt die Einspeisung von Meereswasser zur Kühlung nicht, der Kühlwasserstand sinkt weiterhin und die Brennstäbe befinden sich außerhalb des Wassers. (Link)
Update 53 (14.3. 17:00Uhr):
Picasa Webalbum mit Fotos aus den Katastrophengebieten. Weitere Aufnahmen hier, hier und hier. Aktuelles Satellitenfoto der Reaktoren von Fukushima Daiichi, deutlich erkennbar sind die Zerstörungen an den Gebäuden von Reaktor 1 und 3.
Update 54 (14.3. 23:30Uhr):
Reaktor 3 in Fukushima (bei dem heute Morgen das Reaktorgebäude explodierte) soll sehr instabil sein, es wird ein Defekt am Sicherheitsbehälter vermutet berichtet der SPON Lifeticker. Zudem wird offensichtlich das radioaktive Wasser, welches zum Kühlen der Reaktoren verwendet wurde, direkt ins Meer geleitet. Greenpeace berichtet, dass die Schäden am Reaktorbehälter 3 nicht nur vermutet werden (Eintrag v. 23:15Uhr).
Update 55 (15.3. 0:05Uhr):
Im LiveStream von NHK TV (japanischer Fernsehsender) wird aktuell von einem Explosionsgeräusch von Reaktor 2 in Fukushima Daiichi berichtet. Bilder sind noch keine verfügbar.
Update 56 (15.3. 0:38Uhr):
Während der aktuell laufenden Pressekonferenz zur Explosion an (oder in) Reaktor 2 wird mitgeteilt, dass die Arbeiter aus der Nähe des Reaktors evakuiert wurden, es wird ein Bruch der Reaktorhülle befürchtet, da nach der Explosion der Druck innerhalb der Hülle rapide sank. Es ist nach wie vor nur von einem „Explosionsgeräusch“ die Rede. Die Strahlenwerte nach der Explosion stiegen enorm an, derzeit beträgt die stündliche Strahlenbelastung mit 8217 Mikrosievert das 8fache dessen, was als jährlicher Grenzwert angesehen wird.
Update 57 (16.3. 2:30):
Reaktor 4 in Fukushima brennt erneut. Zuvor wurde bereits ein Feuer am Reaktor gelöscht, das neue Feuer soll durch eine Wasserstoffexplosion ausgelöst worden sein und ist nicht unter Kontrolle. NHK TV überträgt im Livestream Aufnahmen des brennenden Reaktors.
Die Anwohner im Umkreis von 30km außerhalb des Evakuierungsbereichs wurden aufgefordert, ihre Häuser und Wohnungen nicht zu verlassen.
In der Zwischenzeit bleibt die Situation an den Reaktoren in Fukushima weiterhin sehr kritisch, es wird nun schon als Erfolgsmeldung geführt, dass sich die Lage nicht weiter verschlechtert hat. Die Gefahr eines Super-GAU ist jedoch nach wie vor nicht gebannt, die nächsten Stunden werden zeigen, ob das noch gelingt. Neben den 50 auf dem Gelände verbliebenen Arbeiter haben sich inzwischen 120 Freiwillige gefunden, die bei den Rettungsversuchen helfen wollen.