Abmahnungen im Internet – Ein offener Brief an die Justizministerin

Die Initiative „Rettet das Internet“ hat einen offenen Brief an die Bundesjustizministerin Frau Zypries verfasst. Und weil ich den Inhalt so sehr treffend finde, möchte ich ihn hier in voller Länge zitieren. Falls Ihr, liebe Mitglieder der Initiative, damit nicht einverstanden sein solltet: Bitte kurze Mail an mich und ich werde es beim verlinken belassen.

Sehr geehrte Frau Zypries,

Ihr Vorschlag einer Deckelung der Abmahnkosten in einfach gelagerten Fällen ist eine nette Idee. Sie ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein im deutschen Abmahnsumpf.

Haben Sie doch endlich den Mut, diesen ganzen Sumpf trockenzulegen!

Die Kostenerstattung im Abmahnfall ist eine typisch deutsche Regelung, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Eine Regelung, die, wie wir nachfolgend erläutern werden, niemals funktioniert hat, überhaupt nicht funktionieren kann, und im Bereich des Internets mittlerweile zu einer Korrumpierung des deutschen Anwaltswesens beiträgt, wie wir anhand von Dutzenden uns vorliegenden, teilweise geradezu absurd unverschämten Abmahnungen belegen können.

Das Problem des Abmahnmissbrauchs ist seit über zwei Jahrzehnten bekannt. Durch das Internet hat es aber inzwischen ungeheuerliche Ausmaße angenommen, und das Justizministerium sieht seit Jahren tatenlos zu bzw. lässt sich ausgerechnet von den Abmahnungsgewinnlern (Anwälte und Wettbewerbszentrale) von der angeblichen Notwendigkeit der bestehenden Regelung überzeugen. Das ist, als würde man einen Wucherer fragen, was er von einer Gesetzgebung gegen Wucher hält.

Neben den täglichen Missbrauchsfällen aus der Praxis lässt sich auch theoretisch belegen, warum die Kostenerstattung im Abmahnungsfall überhaupt nicht funktionieren kann:

1. Eine Abmahnung ist eine außergerichtliche Einigung, gewissermaßen ein Vergleich. Vergleich würde aber bedeuten, dass, wenn überhaupt, beide Parteien die Anwaltskosten zu tragen haben. Dem Abgemahnten die Anwaltskosten alleine aufzuerlegen, ist eine Umkehr der klassischen Beweislast (er soll jetzt, unter enormem Aufwand und Risiken, durch eventuelle Gegenklage, seine vollständige Unschuld belegen, oder halt zahlen), vor allem aber ist es Voraussetzung und Ursache für die unzähligen leichtfertig oder gar vorsätzlich versandten, unklar bis unrechtmäßigen Abmahnungen, sowie die allgemeine Hexenjagd auf Bagatellfälle.

Ein Anwalt geht dabei in Deutschland keinerlei Risiko ein, niemand überprüft sein Tun, und selbst bei einer erfolgreichen Gegenklage des Abgemahnten bekommt er sein Geld und muss keinerlei Folgen fürchten. Für den Abgemahnten dagegen bleiben immer Folgen, selbst wenn er gewinnt. Niemand entschädigt ihn für Zeitverlust, schlaflose Nächte, und oft bleibt er auch auf den außergerichtlichen Kosten seines eigenen Anwalts sitzen.
2. Die Streitwert-orientierten Kosten für Gericht und anwaltliche Tätigkeit führen ohnehin dazu, dass Privatpersonen und nichtkommerzielle Internetveröffentlichungen (Foren, Blogs etc.) ebenso wie kleine Unternehmer, vom Recht praktisch ausgeschlossen werden. Sie können, angesichts ungeheurer Prozesskosten und -Risiken im gerichtlichen Vergleichsfall, ein Einklagen ihres Rechts nicht mehr finanzieren, oftmals nicht mal anwaltliche Beratung.
Stück für Stück weichen sie zurück, bis das Internet schließlich in der Hand einiger weniger, monopolistischer Medienkonzerne sein wird. Täglich bekommen wir Mails von Homepages, Initiativen, und Ich-AGs, die aufgrund von Abmahnungen vom Netz genommen und deren Betreiber teilweise zum Sozialfall wurden.

3. immer wieder taucht das Argument auf, das Internet wäre kein „rechtsfreier Raum“ und es müßte deshalb die Abmahnungs-Sanktion geben. Das ist ein Trugschluss! Die Abmahnung ist eine zivilrechtliche außergerichtliche Einigung. Es steht weder Anwälten noch Privatpersonen zu, „Strafen“ zu verhängen, und schon gar nicht, sie in die eigene Tasche zu wirtschaften. Das führt zwangsläufig zu Zuständen wie in einer Bananenrepublik, und die haben wir mittlerweile im deutschen Internet. Die deutsche Abmahnung macht das Internet überhaupt erst zum „rechtsfreien Raum“, zum Raum für Selbstjustiz und hemmungslose Abzocke durch schwarze Schafe unter den Anwälten. Überall sonst auf der Welt kommt man hervorragend ohne diese rein deutsche Sonderregelung aus.

FAZIT: Die tägliche Praxis im Internet sieht so aus, dass man, selbst als sehr wahrscheinlich zu Unrecht Abgemahnter, besser zahlt und klein beigibt, als sich einer widersprüchlichen Internet-Rechtsprechung mit ungeheuren Streitwert-Risiken auszusetzen. Ein Prozessrisiko von auch nur 10% ist bei Streitwerten von über 100.000 Euro für Privatpersonen und Kleinunternehmer nicht tragbar!

Auf diese Furcht bauen und von dieser Furcht leben die professionellen Abmahnungsabzocker!
Webmaster werden zum Freiwild einer verrückt gewordenen Rechtsmaschinerie. Anwälte werden zu Blutsaugern eines ohnehin durch Regelungswut in der Wettbewerbsfähigkeit stark beeinträchtigten deutschen Internets. Abmahnungen werden zum Mittel des modernen Wettbewerbs, um lästige, kleine Konkurrenten zu schädigen oder vom Markt zu drängen.
Mit freundlichem Gruß,

Dr. R. Freund
Vertreter und Mit-Initiator von

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